Diagnose

Im Folgenden haben wir für Sie zusammengefasst:

  1. Hintergrundinformationen
  2. Orientierung bei der FASD-Abklärung
  3. Diagnostische Kriterien nach der S3-Leitlinie
  4. SPZ mit FASD-Diagnostik in Deutschland
  5. Kernelemente eines FASD-Diagnose-Briefes
  6. Literatur (Auswahl)


Wenn Sie Fragen haben, können Sie sich gerne an uns wenden: fasd@med.uni-muenchen.de.

Ihr Team des Deutschen FASD KOMPETENZZENTRUM Bayern

Hintergrundinformationen

Etwa ein Drittel aller Frauen in Deutschland trinkt Alkohol während der Schwangerschaft.

Kein Zeitpunkt und keine Menge an Alkohol sind in der Schwangerschaft erwiesenermaßen unschädlich für das werdende Kind.

Im Mutterleib kann die Exposition gegenüber Alkohol, einem der schädlichsten Umweltgifte, zu einer toxischen, biologisch irreversiblen Gehirnschädigung beim Kind führen.

Dies kann zu vielfältigen und schwerwiegenden Beeinträchtigungen in der körperlichen und geistigen Entwicklung des Kindes, im Verhalten und weiterführend in der selbstständigen Lebensbewältigung führen.

Diese Beeinträchtigungen werden zusammengefasst als Fetale Alkoholspektrumstörungen – FASD (fetal alcohol spectrum disorders). Zu den FASD zählen das Fetale Alkoholsyndrom (FAS), das partielle Fetale Alkoholsyndrom (pFAS) und die alkoholbedingte entwicklungsneurologische Störung (ARND – alcohol related neurodevelopmental disorder).

Mit einer Prävalenz von etwa 2 % ist FASD die häufigste, bei Geburt bestehende chronische Erkrankung bzw. Behinderung in Deutschland.

Dabei wäre FASD bei konsequenter Alkoholabstinenz in der Schwangerschaft vollständig vermeidbar.

Alkoholkonsum in der Schwangerschaft und dessen Folgen beim Kind sind dabei nicht das Problem einer einzelnen Frau, sondern eine gesellschaftliche Herausforderung.

Orientierung bei der FASD-Abklärung

Unter diesem Link können Sie als Ärzt*innen und Psycholog*innen anhand Ihrer Eingabe in die WebApp erfahren, ob – basierend auf den Kriterien der S3-Leitlinie – Hinweise auf eine FASD bei einem Kind vorliegen oder nicht und welches Prozedere wir empfehlen. Zusätzlich können Sie die FASD Complexity Signature ausfüllen und Ihre Dokumentation downloaden oder ausdrucken.

Diagnostische Kriterien nach S3-Leitlinie

Die frühzeitige und korrekte Diagnosestellung FASD ist die Grundlage für das Krankheitskonzept und somit das Krankheitsverständnis sowie die Voraussetzung für die Planung einer für das Störungsbild adäquaten und individuell angepassten Therapie.

Auf Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) wurde im Jahr 2012 erstmals eine S3-Leitlinie zur Diagnostik des Fetalen Alkoholsyndroms (FAS) veröffentlicht. In einem anschließenden Projekt wurde diese Leitlinie erweitert. Sie beinhaltet seitdem auch Empfehlungen sowie Expertenkonsensus zur Diagnostik der Subtypen pFAS und ARND. Diese überarbeitete Version wurde 2016 publiziert. Im Rahmen eines darauffolgenden Projekts, gefördert durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA, Förderkennzeichen: 01VSF21012), erfolgte zum einen eine umfassende Aktualisierung der diagnostischen Kriterien für FASD als auch die erstmalige Formulierung von Interventionsempfehlungen bei Kindern und Jugendlichen mit FASD. Alle Empfehlungen basieren auf Auswertungen aktueller, wissenschaftlicher Forschungsergebnisse und wurden in multidisziplinären Konsensuskonferenzen hinsichtlich klinischer Relevanz, ethischen Hintergründen und Praktikabilität diskutiert, konsentiert und formell verabschiedet. Ergänzend wurden erfahrungsbasierte Expertenkonsensus formuliert und konsentiert. Die aktuelle Fassung wurde 2025 auf der Website der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) veröffentlicht: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/022-025

In der nachfolgenden Tabelle sind die bei den verschiedenen FASD typischerweise auftretenden phänotypischen Auffälligkeiten und Symptome in der jeweiligen diagnostischen Säule als Orientierungshilfe zusammengefasst (SD – standard deviation – Standardabweichung).

Eine Orientierungshilfe zur Abklärung von FASD bei Kindern und Jugendlichen finden Sie in Form einer interaktiven WebApp als Extra-Punkt unter dem Menü „Fachkräfte“.

Die exakten Kriterien der S3-Leitlinie „Fetale Alkoholspektrumstörungen (FASD) bei Kindern und Jugendlichen – Diagnostik & Intervention“ finden Sie im Text unter der Tabelle.

Auffälligkeiten in Domäne: Fetales Alkoholsyndrom – FAS Partielles Fetales Alkoholsyndrom – pFAS Alkoholbedingte entwicklungs-neurologische Störung – ARND
Wachstum:

Geburts- oder Körpergewicht
oder
Geburts- oder Körperlänge
oder
Body Mass Index ≤ 10. Perzentile
mind. 1 Auffälligkeit    
Gesicht:

1) kurze Lidspalten ≤ 3. Perzentile bzw. mind. 2 SD unter der Norm
2) verstrichenes Philtrum (Grad 4 oder 5 Lip-Philtrum Guide)
3) schmale Oberlippe (Grad 4 oder 5 Lip-Philtrum Guide)
alle 3 Auffälligkeiten mind. 2 von 3 Auffälligkeiten  
Zentrales Nervensystem (ZNS):

funktionell und strukturell
Mindestens 1 der folgenden Auffälligkeiten:
  • globale Intelligenzminderung (mindestens 2 SD unter der Norm) ODER signifikante kombinierte Entwicklungsverzögerung bei Kindern ≤ 2 Jahren
  • Leistung mind. 2 SD unter der Norm in mind. 3 der folgenden Bereichen oder in mind. 2 Bereichen in Kombination mit Epilepsie:
    • Sprache
    • Feinmotorik und Koordination
    • Visuell-räumliche Funktionen
    • Rechenfertigkeiten
    • Lern- oder Merkfähigkeit
    • Exekutive Funktionen
    • Aufmerksamkeit
    • soziale Fertigkeiten oder Verhalten
  • Kopfumfang mind. ≤ 10. Perzentile
  • Strukturelle ZNS-Malformation (global oder regional)
signifikante Beeinträchtigung in mind. 3 Bereichen (alle folgenden Aufzählungspunkte sind gleichwertige Kriterien):
  • globale Intelligenzminderung (mindestens 2 SD unter der Norm)
  • ODER signifikante kombinierte Entwicklungsverzögerung bei Kindern ≤ 2 Jahre
  • Epilepsie
  • Kopfumfang ≤ 10. Perzentile ODER strukturelle ZNS-Malformation (global oder regional)
Leistung mindestens 2 SD unter der Norm in:
  • Sprache
  • Feinmotorik und Koordination
  • Visuell-räumliche Funktionen
  • Rechenfertigkeiten
  • Lern- oder Merkfähigkeit
  • Exekutive Funktionen
  • Aufmerksamkeit
  • soziale Fertigkeiten oder Verhalten
signifikante Beeinträchtigung in mind. 3 Bereichen (alle folgenden Aufzählungspunkte sind gleichwertige Kriterien):
  • globale Intelligenzminderung (mindestens 2 SD unter der Norm)
  • ODER signifikante kombinierte Entwicklungsverzögerung bei Kindern ≤ 2 Jahre
  • Epilepsie
  • Kopfumfang ≤ 10. Perzentile ODER strukturelle ZNS-Malformation (global oder regional)
Leistung mindestens 2 SD unter der Norm in:
  • Sprache
  • Feinmotorik und Koordination
  • Visuell-räumliche Funktionen
  • Rechenfertigkeiten
  • Lern- oder Merkfähigkeit
  • Exekutive Funktionen
  • Aufmerksamkeit
  • soziale Fertigkeiten oder Verhalten
Intrauterine Alkoholexposition bestätigt, wahrscheinlich oder unbekannt wahrscheinlich oder bestätigt Bestätigt
Auffälligkeiten in Domäne: Fetales Alkoholsyndrom – FAS
Wachstum:

Geburts- oder Körpergewicht
oder
Geburts- oder Körperlänge
oder
Body Mass Index ≤ 10. Perzentile
mind. 1 Auffälligkeit
Gesicht:

1) kurze Lidspalten ≤ 3. Perzentile bzw. mind. 2 SD unter der Norm
2) verstrichenes Philtrum (Grad 4 oder 5 Lip-Philtrum Guide)
3) schmale Oberlippe (Grad 4 oder 5 Lip-Philtrum Guide)
alle 3 Auffälligkeiten
Zentrales Nervensystem (ZNS):

funktionell und strukturell
Mindestens 1 der folgenden Auffälligkeiten:
  • globale Intelligenzminderung (mindestens 2 SD unter der Norm) ODER signifikante kombinierte Entwicklungsverzögerung bei Kindern ≤ 2 Jahren
  • Leistung mind. 2 SD unter der Norm in mind. 3 der folgenden Bereichen oder in mind. 2 Bereichen in Kombination mit Epilepsie:
    • Sprache
    • Feinmotorik und Koordination
    • Visuell-räumliche Funktionen
    • Rechenfertigkeiten
    • Lern- oder Merkfähigkeit
    • Exekutive Funktionen
    • Aufmerksamkeit
    • soziale Fertigkeiten oder Verhalten
  • Kopfumfang mind. ≤ 10. Perzentile
  • Strukturelle ZNS-Malformation (global oder regional)
Intrauterine Alkoholexposition bestätigt, wahrscheinlich oder unbekannt

 

Auffälligkeiten in Domäne: Partielles Fetales Alkoholsyndrom – pFAS
Wachstum:

Geburts- oder Körpergewicht
oder
Geburts- oder Körperlänge
oder
Body Mass Index ≤ 10. Perzentile
 
Gesicht:

1) kurze Lidspalten ≤ 3. Perzentile bzw. mind. 2 SD unter der Norm
2) verstrichenes Philtrum (Grad 4 oder 5 Lip-Philtrum Guide)
3) schmale Oberlippe (Grad 4 oder 5 Lip-Philtrum Guide)
mind. 2 von 3 Auffälligkeiten
Zentrales Nervensystem (ZNS):

funktionell und strukturell
signifikante Beeinträchtigung in mind. 3 Bereichen (alle folgenden Aufzählungspunkte sind gleichwertige Kriterien):
  • globale Intelligenzminderung (mindestens 2 SD unter der Norm)
  • ODER signifikante kombinierte Entwicklungsverzögerung bei Kindern ≤ 2 Jahre
  • Epilepsie
  • Kopfumfang ≤ 10. Perzentile ODER strukturelle ZNS-Malformation (global oder regional)
Leistung mindestens 2 SD unter der Norm in:
  • Sprache
  • Feinmotorik und Koordination
  • Visuell-räumliche Funktionen
  • Rechenfertigkeiten
  • Lern- oder Merkfähigkeit
  • Exekutive Funktionen
  • Aufmerksamkeit
  • soziale Fertigkeiten oder Verhalten
Intrauterine Alkoholexposition wahrscheinlich oder bestätigt

 

Auffälligkeiten in Domäne: Alkoholbedingte entwicklungs-neurologische Störung – ARND
Wachstum:

Geburts- oder Körpergewicht
oder
Geburts- oder Körperlänge
oder
Body Mass Index ≤ 10. Perzentile
 
Gesicht:

1) kurze Lidspalten ≤ 3. Perzentile bzw. mind. 2 SD unter der Norm
2) verstrichenes Philtrum (Grad 4 oder 5 Lip-Philtrum Guide)
3) schmale Oberlippe (Grad 4 oder 5 Lip-Philtrum Guide)
 
Zentrales Nervensystem (ZNS):

funktionell und strukturell
signifikante Beeinträchtigung in mind. 3 Bereichen (alle folgenden Aufzählungspunkte sind gleichwertige Kriterien):
  • globale Intelligenzminderung (mindestens 2 SD unter der Norm)
  • ODER signifikante kombinierte Entwicklungsverzögerung bei Kindern ≤ 2 Jahre
  • Epilepsie
  • Kopfumfang ≤ 10. Perzentile ODER strukturelle ZNS-Malformation (global oder regional)
Leistung mindestens 2 SD unter der Norm in:
  • Sprache
  • Feinmotorik und Koordination
  • Visuell-räumliche Funktionen
  • Rechenfertigkeiten
  • Lern- oder Merkfähigkeit
  • Exekutive Funktionen
  • Aufmerksamkeit
  • soziale Fertigkeiten oder Verhalten
Intrauterine Alkoholexposition Bestätigt

Diagnose des Fetalen Alkoholsyndroms – FAS

Zur Diagnose eines FAS sollten alle Kriterien 1. bis 4. zutreffen:

  1. Wachstumsauffälligkeiten
  2. faciale Auffälligkeiten
  3. ZNS-Auffälligkeiten
  4. intrauterine Alkoholexposition


Zu 1.) Zur Erfüllung des Kriteriums „Wachstumsauffälligkeiten” soll mindestens 1 der folgenden Auffälligkeiten, adaptiert an Gestationsalter, Alter, Geschlecht, dokumentiert zu einem beliebigen Zeitpunkt, zutreffen:

  • Geburts- oder Körpergewicht ≤ 10. Perzentile
  • Geburts- oder Körperlänge ≤ 10. Perzentile
  • Body Mass Index ≤ 10. Perzentile.

Auch wenn die Kinder ihr Wachstum (z. B. in der Pubertät) aufholen, gelten in jüngerem Alter dokumentierte Verringerungen der Körpermaße als erfülltes Kriterium für FAS. Ebenso zählen ein Untergewicht und/oder ein Kleinwuchs in späterem Alter als erfülltes Kriterium, auch wenn z. B. bei Geburt oder im Säuglingsalter durchschnittliche Perzentile dokumentiert wurden. Es sollte ausgeschlossen werden, dass die Wachstumsstörung allein durch andere Ursachen wie familiärer Kleinwuchs oder konstitutionelle Entwicklungsverzögerung, pränatale Mangelzustände, Skelettdysplasien, hormonelle Störungen, genetische Syndrome, chronische Erkrankungen, Malabsorption, Mangelernährung oder Vernachlässigung erklärt werden kann.


Zu 2.) Zur Erfüllung des Kriteriums „Faziale Auffälligkeiten” sollen alle 3 fazialen Anomalien vorhanden sein:

  • Kurze Lidspalten (mindestens 2 SD unter der Norm oder ≤ 3. Perzentile)
  • Verstrichenes Philtrum (Rang 4 oder 5 auf dem Lip-Philtrum-Guide)
  • Schmale Oberlippe (Rang 4 oder 5 auf dem Lip-Philtrum-Guide)

Bei Patient*innen kaukasischer und asiatischer Ethnizität kann die Lidspaltenlänge mittels eines durchsichtigen Lineals direkt am Patienten oder auf einer Fotographie des Patienten mit Referenzmaßstab, z. B. 1 cm großer, auf die Stirn geklebter Punkt, gemessen werden (siehe Abbildung 1). Die Auswertung der, anhand des aufgeklebten Referenzpunktes ermittelten, Lidspaltenlänge kann durch ein Computerprogramm von Astley (https://depts.washington.edu/fasdpn/htmls/face-software.htm) erfolgen. Kinder afrikanischer Ethnizität können anhand der beiden Lidspaltenlängen-Perzentilenkurven nicht beurteilt werden, da der Normwert der Lidspaltenlänge laut Astley ca. eine SD größer ist als bei Kindern kaukasischer und asiatischer Ethnizität.

Abbildung 1:
Messung der Lidspaltenlänge von inneren (en) zum äußeren Augenwinkel (ex)
(© 2013 PD Dr. med. Dipl.-Psych. Mirjam N. Landgraf, Ludwig-Maximilians-Universität München)

Die Oberlippe und das Philtrum können anhand des Lip-Philtrum-Guide von Astley et al. (2002) quantitativ eingeordnet werden (Beispiele siehe Abbildung 2). Dabei gelten Messungen mit vier und mit fünf von fünf Punkten auf der Skala als pathologisch.
(https://depts.washington.edu/fasdpn/htmls/lip-philtrum-guides.htm).



Abbildung 2:
Lip-Philtrum-Guide: links für asiatische und kaukasische Ethnizität, rechts für afrikanische Ethnizität
(© 2023, Susan J Hemingway PhD, University of Washington).


Zu 3.) Zur Erfüllung des Kriteriums „ZNS-Auffälligkeiten” sollte mindestens 1 der folgenden Auffälligkeiten zutreffen:
3.1. Funktionelle ZNS-Auffälligkeiten
3.2. Strukturelle ZNS-Auffälligkeiten

Zu 3.1.) Zur Erfüllung des Kriteriums „Funktionelle ZNS-Auffälligkeiten” sollte mindestens 1 der folgenden Auffälligkeiten zutreffen, die nicht adäquat für das Alter ist und nicht allein durch den familiären Hintergrund oder das soziale Umfeld erklärt werden kann:

  1. Globale Intelligenzminderung mindestens 2 SD unterhalb der Norm oder signifikante kombinierte Entwicklungsverzögerung bei Kindern unter 2 Jahren
  2. Leistung mindestens 2 SD unterhalb der Norm in mindestens 3 der folgenden Bereiche oder in mindestens 2 der folgenden Bereiche in Kombination mit Epilepsie:
    • Sprache
    • Feinmotorik und Koordination
    • Visuell-räumliche Funktionen
    • Rechenfertigkeiten
    • Lern- oder Merkfähigkeit
    • Exekutive Funktionen
    • Aufmerksamkeit
    • Soziale Fertigkeiten oder Verhalten

Zu 3.2.) Zur Erfüllung des Kriteriums „Strukturelle ZNS-Auffälligkeiten” sollte mindestens 1 der folgenden Auffälligkeiten, adaptiert an Gestationsalter, Alter, Geschlecht, dokumentiert zu einem beliebigen Zeitpunkt, zutreffen:

  • Mikrozephalie (≤ 10. Perzentile)
  • Strukturelle ZNS-Malformation (global oder regional)

Zu 4.) Zur Erfüllung des Kriteriums „Pränatale Alkoholexposition“: Wenn Auffälligkeiten in den drei übrigen diagnostischen Säulen bestehen, soll die Diagnose eines Fetalen Alkoholsyndroms auch bei unbekannter pränataler Alkoholexposition gestellt werden.

Diagnose des partiellen Fetalen Alkoholsyndroms – pFAS

Zur Diagnose eines pFAS sollen alle Kriterien 1. bis 3. zutreffen:

  1. Faziale Auffälligkeiten
  2. ZNS-Auffälligkeiten
  3. Pränatale Alkoholexposition: bestätigt oder wahrscheinlich

Zu 1.) Zur Erfüllung des Kriteriums „Faziale Auffälligkeiten” sollen mindestens 2 der 3 folgenden fazialen Anomalien vorhanden sein (dokumentiert zu einem beliebigen Zeitpunkt):

  • Kurze Lidspalten (mindestens 2 SD unter der Norm bzw. ≤ 3. Perzentile)
  • Verstrichenes Philtrum (Rang 4 oder 5 Lip-Philtrum-Guide)
  • Schmale Oberlippe (Rang 4 oder 5 Lip-Philtrum-Guide)

Zu 2.) Zur Erfüllung des Kriteriums „ZNS-Auffälligkeiten” sollen mindestens 3 der folgenden Auffälligkeiten zutreffen, die nicht adäquat für das Alter sind und nicht allein durch den familiären Hintergrund oder das soziale Umfeld erklärt werden können (alle Aufzählungspunkte gleichwertig):

  • Globale Intelligenzminderung (mindestens 2 SD unter der Norm) oder signifikante kombinierte Entwicklungsverzögerung bei Kindern ≤ 2 Jahren
  • Epilepsie
  • Mikrozephalie ≤ 10. Perzentile oder strukturelle ZNS-Malformation (global oder regional)

Leistung mindestens 2 SD unter der Norm in den Bereichen:

  • Sprache
  • Feinmotorik oder Koordination
  • Visuell-räumliche Funktionen
  • Lern- oder Merkfähigkeit
  • Exekutive Funktionen
  • Rechenfertigkeiten
  • Aufmerksamkeit
  • Soziale Fertigkeiten oder Verhalten

Zu 3.) Zur Erfüllung des Kriteriums „Pränatale Alkoholexposition“: Falls faziale und ZNS-Auffälligkeiten vorhanden sind, sollte die Diagnose eines pFAS bei bestätigter oder wahrscheinlicher pränataler Alkoholexposition gestellt werden.

Diagnose der alkoholbedingten entwicklungsneurologischen Störung – ARND – alcohol related neurodevelopmental disorders

Zur Diagnose einer ARND sollen die Kriterien 1. und 2. zutreffen:

  1. ZNS-Auffälligkeiten
  2. Bestätigte pränatale Alkoholexposition

Zu 1.) Zur Erfüllung des Kriteriums „ZNS-Auffälligkeiten” sollen mindestens 3 der folgenden Auffälligkeiten zutreffen, die nicht adäquat für das Alter sind und nicht allein durch den familiären Hintergrund oder das soziale Umfeld erklärt werden können (alle Aufzählungspunkte gleichwertig):

  • Globale Intelligenzminderung (mindestens 2 SD unter der Norm) oder signifikante kombinierte Entwicklungsverzögerung bei Kindern ≤ 2 Jahren
  • Epilepsie
  • Mikrozephalie ≤ 10. Perzentile oder strukturelle ZNS-Malformation (global oder regional)

Leistung mindestens 2 SD unter der Norm in den Bereichen:

  • Sprache
  • Feinmotorik oder Koordination
  • Visuell-räumliche Funktionen
  • Lern- oder Merkfähigkeit
  • Exekutive Funktionen
  • Rechenfertigkeiten
  • Aufmerksamkeit
  • Soziale Fertigkeiten oder Verhalten

Zu 2.) Zur Erfüllung des Kriteriums „Pränatale Alkoholexposition“: Wenn ZNS-Auffälligkeiten vorhanden sind, soll die Diagnose einer ARND bei bestätigter pränataler Alkoholexposition gestellt werden.

Diagnose der alkoholbedingten angeborenen Fehlbildungen – ARBD – alcohol related birth defects

Alcohol related birth defects (ARBD) soll in Deutschland, wegen der fehlenden Spezifität der Malformationen und der fehlenden Evidenz für ARBD als eindeutige Krankheits-Entität, nicht als Diagnose verwendet werden (angelehnt an CDC, Canadian Guidelines und 4-Digit Diagnostic Code).

SPZ mit FASD-Diagnostik in Deutschland

Die Patientenvertretung FASD Deutschland e.V. hat eine Umfrage unter allen deutschen Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) durchgeführt und erfragt, welche SPZ eine FASD-Diagnostik nach S3-Leitlinie durchführen. Die Ergebnisse der Selbstauskünfte finden Sie nach Bundesland geordnet unter dem folgenden Link.

Kernelemente eines FASD-Diagnose-Briefes

Die deutsche Kinder-FASD-Expertengruppe (bestehend aus: Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Mirjam N. Landgraf, Dr. med. Ute Mendes, Dr. med. Heike Hoff-Emden, Dr. med. Dorothee Veer, Dr. med. Kristina Kölzsch, Heike Wolter, Dipl.-Psych. Gela Becker, Lina Schwerg, Dr. Dipl.-Psych. Reinhold Feldmann) hat auf Wunsch externer Kolleg*innen ein Dokument zu empfohlenen Kernelementen eines Briefes zur FASD-Diagnostik erstellt. Das Dokument kann weniger erfahrenen Kolleg*innen beim Verfassen einer ärztlich-psychologischen Stellungnahme hinsichtlich FASD bei Kindern und Jugendlichen unterstützen. Dabei fokussiert das Dokument auf Kernelementen für FASD – andere neurologische, psychologische und differentialdiagnostische Elemente sind nicht aufgeführt. Das Dokument hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ersetzt nicht individualisierte weitere Untersuchungsbefunde, Arztbriefe, Stellungnahmen oder Gutachten. Die von der Expertengruppe entworfenen Kernelemente können Sie unter diesem Link einsehen.

Literatur (Auswahl)

  1. Strieker S, Heinen F, Landgraf MN. S3-Leitlinie Fetale Alkoholspektrumstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Diagnose & Intervention. Langfassung. AWMF-Registernr.: 022-025. Überar-beitung von: 03/2025 Verfügbar unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/022-025 (abgerufen am 12.06.2025).
  2. Landgraf MN et al. Diagnosis of fetal alcohol spectrum disorders: German guideline version 2024. Eur J Paediatr Neurol. 2024;53:155-165.
  3. Strieker S et al. First Evidence-Based Guideline for Interventions in FASD. Neuropediatrics. 2025 Jun;56(3):160-171.