Pathophysiologie

Im Folgenden haben wir für Sie zusammengefasst:

  1. Prozesse der Alkoholschädigung der FASD
  2. Auswirkungen der intrauterinen Alkoholexposition gegliedert nach den diagnostischen Säulen der FASD (S3 Leitlinie)
  3. Literatur (Auswahl)


Wenn Sie Fragen haben, können Sie sich gerne an uns wenden: fasd@med.uni-muenchen.de.

Ihr Team des Deutschen FASD KOMPETENZZENTRUM Bayern

Prozesse der Alkoholschädigung der FASD

Die Kenntnis über die Entstehung eines Krankheitsbildes, also das Wissen um die Pathophysiologie, ist immer auch die Grundlage für die Möglichkeit, Präventionsmaßnahmen zu formulieren. Dies trifft auch auf das Krankheitsbild der Fetalen Alkoholspektrumstörung (FASD) zu, weshalb im Folgenden der aktuelle Wissenstand hierzu zusammengefasst werden soll. Die aus menschlichen Studien erhobenen Daten variieren jedoch stark und tierexperimentelle Studien, häufig durchgeführt an Nagetieren, sind nur eingeschränkt auf den menschlichen Organismus und dessen Entwicklung transferierbar [1]. Insgesamt ist die Pathophysiologie des Krankheitsbildes FASD bisher nur unvollständig erforscht.

Die legale Droge Alkohol, auch bezeichnet als Ethanol, kann auf den sie Konsumierenden vielfältige Auswirkungen durch auftretende Bewusstseinsveränderungen haben. Dieser Alkoholkonsum kann, bei bestehender Schwangerschaft, zu schwerwiegenden Folgen für das ungeborene Kind führen.

Im menschlichen Körper wird Ethanol durch die Enzyme Alkoholdehydrogenase (ADH), Cytochrome P450 E1 (CYP2E1) und durch Peroxidasen zu Acetaldehyd metabolisiert. Dieses Zwischenprodukt ist, aufgrund seiner hohen Bindungsaffinität, potenziell mutagen (erbgutschädigend) und kanzerogen (krebserregend). Zusätzlich entstehen bei diesem Abbau freie Sauerstoffradikale, welche durch ihre unkontrollierte Oxidation von Proteinen, Lipiden und anderen Metaboliten die DNA schädigen und so ebenfalls hochtoxisch für den menschlichen Organismus sind [1]. Diese freien Sauerstoffradikale kommen auch in vielen anderen physiologischen Prozessen vor, weshalb Eliminationswege dafür existieren. Im weiteren Schritt wird Acetaldehyd über die Acetaldehyddehydrogenase (ADHD) zu Acetat umgebaut, welches in den Citratzyklus eingespeist wird und somit der Energiegewinnung zur Verfügung steht. Die beiden Verbindungen Ethanol und Acetaldehyd sind ungehindert plazentagängig und werden so vom mütterlichen Blutkreislauf vollständig in den des Ungeborenen transportiert. Die Quantität und Funktionalität der embryonalen bzw. fetalen Enzyme entspricht nicht denen eines Erwachsenen. Die in der Leber lokalisierte Alkoholdehydrogenase ist im menschlichen Fetus erst ab der 26. Woche funktionsfähig und die, sich im Endoplasmatischen Retikulum befindende CYP2E1 ab der 16. Woche. Diese Differenzen in der Enzymausstattung führen zu einer Akkumulation und somit zu längerem Verbleib und höheren Konzentrationen von Ethanol, dessen Metaboliten und freien Sauerstoffradikalen im Fetus [1]. Diese, im kindlichen Blutkreislauf zirkulierenden, zelltoxischen Stoffe können die Entwicklung von Organen, durch den Übertritt der Blut-Hirn-Schranke das sich entwickelnde Gehirn und das Wachstum beeinflussen [2]. Das Gehirn ist gegenüber den schädigenden Einflüssen von freien Sauerstoffradikalen besonders vulnerabel. Denn im Gehirn entstehen bei der Reaktion mit diesen Sauerstoffradikalen weitere chemische Verbindungen (Superoxide, Quinone und Semiquinone) die an sich wieder hochreaktive Radikale darstellen. Im Gegensatz dazu finden sich im Gehirn weniger Antioxidantien (Superoxid-Dismutase, Katalase, Glutathionperoxidase) als im Blut. Das Hirngewebe ist dasjenige Körpergewebe, welches die höchste Sauerstoffmetabolisierungsrate aufweist und es ist reich an ungesättigten Fettsäuren und selbstoxidierenden Neurotransmittern, welche Substrate von freien Sauerstoffradikalen sind [1] .

Nicht nur die Menge und der Zeitpunkt des mütterlichen Alkoholkonsums in der Schwangerschaft können die Entstehung einer FASD beeinflussen, sondern auch weitere Faktoren wie bestehende Begleiterkrankungen der Mutter, der Konsum weiterer Drogen, die genetischen Grundvoraussetzungen, die Ernährung und der geführte Lebensstil [3]. Die Gewichtung dieser Einflussfaktoren ist bisher unklar.

Auswirkungen der intrauterinen Alkoholexposition gegliedert nach den diagnostischen Säulen der FASD (S3 Leitlinie)

In einem Review zeigten Caputo et al. den Zusammenhang von intrauteriner Alkoholexposition und Veränderungen der Organsysteme auf. Betroffen sind z.B. kardiale, renale, hepatische sowie gastrointestinale Strukturen – und am schwerwiegendsten das Gehirn [2]. Für die Entwicklung der für FASD typischen Auffälligkeiten spielen viele verschiedene biologische Signalwege und deren Interaktion mit Ethanol eine Rolle [4].

Faciale Auffälligkeiten

In tierexperimentellen Studien senkte Ethanol die Expression des Signalmoleküls Sonic Hedgehog (SHH) in Hühnern, Mäusen und Zebrafischen. Weiterhin verminderte Ethanol die Menge an in Zellmembranen gebundenem Cholesterol, welches wiederum wichtig für die Funktion des SHH Signalweges ist. Mutationen in diesem Glykoprotein können unter anderem zum Zelltod von Neuralleistenzellen oder zu strukturellen Verlusten der mittleren cranio-facialen Linie führen. In einer kürzlich erschienenen Studie konnte erstmals ein kausaler Zusammenhang für die Auswirkungen von Ethanol auf den SHH-Signalweg gezeigt werden. Ethanol beeinflusst diesen durch die Interaktion mit den codierenden Genen des dazugehörigen Co-Rezeptors „Cdon“ [5].

Wachstumsauffälligkeiten

Das Wachstum, die Proliferation und das Überleben von Zellen wird von Wachstumsfaktoren kontrolliert. In vitro Versuche zeigten, dass Ethanol die Aktivität des intrazellulären PI3K/AKT/mTOR-Signalwegs, welcher für die Zellzyklusregulation von Bedeutung ist, vermindert. Ein weiterer mit der Ethanol-Teratogenese in Zusammenhang stehender Effektor ist die Phosphoinositide-3-Kinase (PI3K), welche über die Proteinkinase B (AKT) mehrere Kaskaden in Gang setzt. Die dadurch aktivierten Moleküle sind wiederum wichtig für Wachstum und Überleben auf zellulärer Ebene. In der Noxe Ethanol ausgesetzten Zellkulturen war die Aktivität der Phosphatase PTEN (= phosphatase and tensin homolog), welche für die Hemmung des PI3K-Signalweges verantwortlich ist, erhöht [5].

ZNS-Auffälligkeiten

Intrauterine Alkoholexposition kann Auswirkungen auf das Lernen, die Emotionsregulation, das Gedächtnis, die motorischen Fähigkeiten, die Wahrnehmung und das Verhalten haben. Knapp 45% der intrauterin alkoholexponierten Kinder einer prospektiven Kohortenstudie hatten funktionelle Auffälligkeiten des Zentralnervensystems (ZNS) [2]. Die Beeinträchtigungen von Kindern und Jugendlichen mit FASD, die mit bestimmten Strukturen des ZNS assoziiert sind, sollen im Folgenden, soweit verstanden, beschrieben werden.

Ein, mehrere Studien zusammenfassender, Übersichtsartikel von Caputo von 2016 [2] zeigte als häufig beobachtete alkoholbedingte Veränderungen des ZNS ein geringes Hirnvolumen sowohl der weißen als auch der grauen Substanz und Malformationen des Corpus Callosum (Balken). Das Corpus Callosum, welches funktionell zusammenhängende Hirnregionen der beiden Hemisphären miteinander verbindet, zeigte bei intrauteriner Alkoholexposition eine Ausdünnung der Kommissurenfasern und komplette oder teilweise Agenesien. Der davon ebenfalls betroffene, hintere verdickte Teil des Corpus Callosum wird als Splenium bezeichnet. Er beinhaltet unter anderem die Verbindungen der Parietal- und Temporallappen und ist damit wichtig für den Austausch zwischen visuellen / visuell-räumlichen Cortexarealen. Weitere betroffene Bereiche innerhalb des Splenium corpus callosi führen bei Schädigung zu Einschränkungen der verbalen Lernfähigkeit.

Im Übersichtsartikel [2] ist außerdem beschrieben, dass der cerebrale Kortex Abweichungen in Volumen und Dicke aufweist. Diese Veränderungen können, wenn sie den Frontallappen betreffen, in Beeinträchtigungen des Arbeitsgedächtnisses und der Aufmerksamkeit resultieren. Bei Kindern mit FAS wurde eine Reduktion der weißen Substanz mit gleichzeitiger Zunahme der Dicke des Parietallappens, welchem räumlich-visuelle Funktionen und Aufmerksamkeit zugeschrieben werden, beobachtet. Außerdem wurde eine signifikante Aktivitätsabnahme des linken Temporallappen bei Kindern mit FAS beschrieben. Dieser ist unter anderem bedeutend für die Gedächtnisbildung, die Hörverarbeitung und das Sprachverstehen.

Der Nucleus caudatus, Bestandteil der subcortical lokalisierten Basalganglien, ist bei Alkoholexposition häufig kleiner [2]. Diese Abweichung kann zu Problemen in der Bewegungskontrolle, der Lernfähigkeit und der Verhaltenshemmung führen.

Das Kleinhirn, welches eine wichtige Struktur für die exekutiven Funktionen, die Aufmerksamkeit und die Abstimmung von Bewegungsabläufen ist, kann ebenfalls Abweichungen aufweisen. Der Vermis, einem Teil des Kleinhirns, werden bei Schädigung durch intrauterine Alkoholexposition unzureichende verbale Lernfähigkeiten zugeschrieben [2].

In einer weiteren Studie konnte für das Volumen des Hippocampus, im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe, keine Veränderungen bei Menschen mit FASD festgestellt werden [5].

Von FASD erfahrenen ÄrztInnen und PsychologInnen werden häufig ZNS-Auffälligkeiten in Form von Beeinträchtigungen der exekutiven Funktionen, der visuell-räumlichen Fertigkeiten, der emotionalen Regulation, der Aufmerksamkeit und des Verhaltens bei Menschen mit FASD beschrieben. Diese im klinischen Alltag beobachteten Auffälligkeiten resultieren aus den oben beschriebenen strukturellen cerebralen Veränderungen. Häufig sind diese alkoholtoxischen Schäden auf die (mikro-)zelluläre Ebene beschränkt, so dass keine größeren strukturellen Veränderungen in bildgebenden Verfahren, wie der Magnetresonanztomographie (auch bei 1mm-Schichtung), zu sehen sind. Bildgebende Verfahren zählen somit nicht zu den Standarddiagnosetools für FASD, da sie nicht als Screening-Instrument etabliert sind und Spezifität und Sensitivität bisher unbekannt sind [6]. Daher gelten die beschriebenen strukturellen Schädigungen des ZNS, mit Ausnahme der Mikrocephalie (Kopfumfang unter der 3.Perzentile), auch nicht als Diagnosekriterien für die FASD in der S3-Leitlinie.

Literatur (Auswahl)

  1. Ehrhart F, Roozen S, Verbeek J et al. (2019) Review and gap analysis: molecular pathways leading to fetal alcohol spectrum disorders. Mol Psychiatry 24:10-17.
  2. Caputo C, Wood E, Jabbour L (2016) Impact of fetal alcohol exposure on body systems: A systematic review. Birth Defects Research Part C: Embryo Today: Reviews 108:174-180.
  3. Ciafrè S, Ferraguti G, Greco A et al. (2020) Alcohol as an early life stressor: Epigenetics, metabolic, neuroendocrine and neurobehavioral implications. Neurosci Biobehav Rev 118:654-668.
  4. Rb Liyanage V, Curtis K, M Zachariah R, E Chudley A, Rastegar M (2017) Overview of the genetic basis and epigenetic mechanisms that contribute to FASD pathobiology. Current topics in medicinal chemistry 17:808-828.
  5. Archibald SL, Fennema‐Notestine C, Gamst A, Riley EP, Mattson SN, Jernigan TL (2001) Brain dysmorphology in individuals with severe prenatal alcohol exposure. Developmental Medicine & Child Neurology 43:148-154.
  6. Landgraf MN, Heinen F (2016) Fetale Alkoholspektrumstörungen: S3-Leitlinie zur Diagnostik. Kohlhammer Verlag.